Ensemblekonzert Ensemble forma Leipzig

Ariowitsch-Haus

Leipzig

8 Euro
5 Euro ermäßigt

Abbasi, Beyer, Christou, Lévy, Polzhofer

Deutsche Erstaufführung

Anahita Abbasi
Enigma Patterns

für Klarinette, Klavier und Violoncello

When the British cracked the German codes, they eventually could anticipate on the code changes. The structure of the 'computer' and code stayed the same, but every day the Germans changed one box. The telex-machines which cracking the code were all operated by the super genius women in Bletchley.

They used a telex machine to put the changes in the boxes and then the right code came out.But before that, the women cracked codes and patterns. (human decision and mind). So, the human component decided the ‘game’.

That is the machine the Germans used, so with imitating the structure of the enigma into their own telex machines, Bletchley team were able to predict every move of the Germans. But the interesting part is that those women saw patterns and structures needed for the computer to be able to work and function. (The boxes were changing every day, so, the code changed also everyday).

This piece is designed in a similar way. It contains boxes and rules in order to read the boxes and put the piece together while respecting all the rules and limitations. I named this piece "Enigma Patterns" as a tribute to all the brilliant, Intelligent women in Bletchley, who saved many people in the war. and I am also dedicating this piece to all the brilliant women around the world. My part as an artist in this world ( at least at the moment ) is that, I will continue enjoying creating art in a troubled time … knowing and hoping that better days are always ahead of us!

Uraufführung

Stefan Beyer 1981 –
Glow 2018

für Ensemble (34 min)

Los Angeles glüht, heißt es. Von April bis Juni 2018 habe ich in dieser Stadt, in der Villa Aurora gewohnt, im schillernden Stadtteil Pacific Palisades. Die Villa ist ein historischer Ort, und dort zu arbeiten ein besonderes Erlebnis: im Haus Lion Feuchtwangers; am Schreibtisch Franz Werfels; am Flügel Ernst Tochs.

Tochs Flügel ist ein Blüthner. Es wird berichtet, Lion Feuchtwanger, längst im Exil und finanziell nunmehr besser ausgestattet, veranlasste die Verschiffung des Instruments aus Europa in die USA. Heute steht es in der Villa Aurora, in „Marthas (Feuchtwangers) Musikzimmer“, wo auch Teile dieser Komposition entstanden: „Glow“, ein Werk für sechs Spieler, von nahezu einer halben Stunde Dauer.

Los Angeles glüht: Der US-amerikanische Autor Lawrence Weschler prägte diese Wendung, im Jahr 1998 in einem gleichlautenden Artikel im Magazin The New Yorker („L.A. Glows“). Er erörtert darin das besondere Licht der Stadt.

Weschler, Enkel des 1884 in Wien geborenen, 1964 in Santa Monica gestorbenen Komponisten Ernst Toch, verweist auch auf ebenjenen Großvater. Der hätte in seinem Arbeitszimmer im kalifornischen Exil einen Blick auf den Pazifik – die Santa Monica Bay – gehabt, nachmittags von Licht erfüllt. (Auf diesen Teil des Ozeans blickte aus seinem Arbeitszimmer übrigens auch Lion Feuchtwanger.) Seine Gäste hätten dann zu ihm gesagt: „Kein Wunder, dass Sie komponieren können, mit einem derartigen Blick!“, und Toch hätte darauf, Weschler zufolge, entgegnet: „Wenn ich komponiere, müssen die Vorhänge zugezogen sein.“

Kai Johannes Polzhofer 1989 –
Endymion 2016/2018

für Klarinette und Streichtrio

„Sohn der Kalyke und des Aethlios ist Endymion, der mit Aiolern aus Thessalien Elis besiedelte. Nach einigen ist er ein Sohn des Zeus. Weil er überaus schön war, verliebte sich die Göttin des Mondes, Selene, in ihn. Zeus stellt ihm frei, nach Wunsch zu wählen. Er aber wählt, für alle Zeit zu schlafen, auf Dauer unsterblich und nicht alternd.“ (Pseudo-Apollodorus: Biblioteca I. 7. 5.)

Fabien Lévy 1968 –
A propos III+IV 2003

für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier

Mein kleines imaginäres Museum… An der Arte Povera, an dieser aus dem nervösen und unruhigen Geist der 68er Bewegung entstandenen italienischen Kunstströmung, schätze ich besonders das politische Engagement. Sie ist eine Kunst ohne Fremdbestimmung, die zu einer Ästhetik zurückkehrt, ohne das Konzeptuelle zu verwerfen, und dem Werk, nicht dem fetischisierten Material oder den benutzten Technologien den Vorrang einräumt. Daher stammt auch ihre Vorliebe für „arme“, also einfachste Materialen. Ihr spielerischer Missbrauch von Mutter Natur und schließlich ihre Neigung zum doppelten Spiel, zur Vieldeutigkeit und Illusion haben es mir angetan.

Vier bildende Künstler stehen für diese ästhetische Haltung in den vier Sätzen von à propos ein. Diese Künstler, ausgenommen Giuseppe Penone, beanspruchen zwar nicht, Teil der Arte Povera zu sein, aber sie könnten alle dazugehören. Jeder einzelne von ihnen fasziniert mich durch seine ästhetische Einzigartigkeit.

Geordnete Texturen; Dekonstruktionen unterschiedlicher musikalischer Materialen -was auch immer die äußeren Bezugspunkte sind: z.B. das Gagakustück Etenraku in „II. Quand Jeff Wall regarde Hokusai“ oder als Zitate aus anderen Sätzen; zweckentfremdete Instrumente; Paradoxien der Wahrnehmung; scheinbar einfache Materie, die multiples Hören erlaubt.

Diese Albumblätter müssen mit den Ohren eines Kindes gehört werden.

Jani Christou
Epicycle 1968

für Ensemble

Allgemeine, einführende Gedanken zum Werk Jani Christous

Von Kai Johannes Polzhofer. Jani Christou gehört zu einer der schillernden, dennoch wenig bekannten Schlüsselgestalten der Experimentalmusik des 20. Jahrhunderts. Geboren und aufgewachsen in Kairo, Kind griechischer Eltern, ausgebildet an den Eliteinstitutionen Englands, erlernt dort Zwölftontechnik beim emigrierten Wiener Orff-Schüler Hans Redlich, nebenbei Hörer Russels und Wittgensteins (und insbesondere Zeuge dessen Fragen nach den Grenzen der Logik und Sprache). Später reist er C. G. Jung nach, studiert bei jenem dessen Ideen zum kollektiven Unbewussten und den Archetypen. Eng befreundet mit musikalischen Größen wie Giacinto Scelsi, neben Iannis Xenakis schließlich eine der zentralen Figuren der griechischen Avantgarde. Viel zu früh, mit 44 bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen. Deshalb vielleicht von der Musikgeschichtsschreibung bis heute eher als Fußnote behandelt.

Man könnte Christous Arbeit von außen betrachtet mit gängigen Stichworten wie Fluxus, Happening, Performance charakterisieren, würde damit aber das Eigentliche verfehlen. Christou, dessen Arbeiten stets durch politische Willkür verursachte Gewalt und Leid thematisieren, ist weit entfernt von jeder Form spielerischer Postmoderne. Bei ihm geht es eher um ein existentielles Aufrütteln des Publikums durch szenische Aktionen, die die Konventionen musikalischer Sprach- und Aufführungsnormen sprengen. Er entwickelt dazu die Methode der Metapraxis (die an die antike Tragödientheorie anknüpft, die das Drama als reinigenden Akt der regelmäßigen Versöhnung der politischen Gemeinschaft mit dem kollektiv Unbewussten und Verdrängten definierte). Metapraxis bedeutet konkret, dass in den graphischen Partituren Christous, also durch die experimentielle Notation von Bildern, die Musiker dazu aufgefordert sind, konventionelle Denk- und Musizierhaltungen aufzugeben und durch scheinbar irrational assoziierte neue zu ersetzen.

Die so angestoßenen musiktheatralen Aktionen, ritualisierte Erweiterungen und Durchkreuzungen des zu Erwartenden sollen als eine Form der Metapraxis jedoch keinen Gegenbegriff, sondern eine paradoxe Erweiterung und Überschreitung der in unserer alltäglichen Wirklichkeit gelebten kollektiven und individuellen Praxen bedeuten. Metapraxis meint bei Christou, die Ebene des vorgegebenen Sinnes einer alltäglichen Praxis zu verlassen. Durch spontane Aktionen soll so eine Neuordnung, eine Verrückung der Wirklichkeit vorgenommen werden, indem durch das schöpferische Tun ein neuer Erfahrungsraum erschlossen wird, der die konventionelle Bedeutung von Sinnerfahrung relativiert. In diesem Spannungsfeld zwischen Praxis und Metapraxis, vetrauter Ordnung und scheinbar neuer Unordnung, soll klar werden, welche Form irrationaler Rationalität hinter all den uns so sehr vertrauten alltäglichen Vorstellungen von Rationalität liegt. Und gleichzeitig soll dieses Durchbrechen der konventionellen Bedeutungs- und Erfahrungsebenen die musikalische Zeit überschreiten hin zum Erlebnis einer kosmischen Zeit. Diese kosmische Zeit ist für Christou das rituelle Bezeugen der Dialektik, der Komplementarität, der paradoxen Gleichzeitigkeit von Rationalität und Irrationalität. Die musikalische Zeit, die in der Metapraxis zum Ritual und zur kosmischen Zeit sich erweitert soll so die größere Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufzeigen. So wie die antike Tragödie als Heraufbeschwören der alten Blutrache in in die allgemeine, archetypische Zeit des Mythos eintritt, in dem die konventionellen Konzepte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich verwischen, so will Christou die Erfahrung der Metapraxis zum Ausgangspunkt machen, die musikalische Zeit zur kosmischen Zeit hin zu tranzendieren. Praxis und Metapraxis, Vernunft und Unvernunft sind hier eben keine Gegensätze, sondern verhalten sich komplementär und geben die größere Wirklichkeit wieder. Und das heißt im Umkehrschluss: In unseren alltäglichen Praxen stehen wir bereits in einem Kontinuum von Ewigkeit, das den einzelnen Moment als Aspekt einer größeren Sinndimension von Einheit umfassen kann. Die Metapraxis und das Kunstwerk der Metapraxis ist eine besondere Weise, in der sich der gebrochene, eindimensionale Mensch der Moderne eines größeren, jedoch unsagbaren (weil nicht einfach nur einseitig rationalen) Sinnzusammenhanges, in dem er immer steht, zurückzuversichern vermag.

Wichtig scheint es hier festzuhalten, dass es Christou gerade nicht um eine Art der Tranceerfahrung ging, wie es die Esoterik des New Age oder die Meditationsmusik eines Arvo Pärt versprechen. Christou ging es als Künstler immer um ein radikales politisches Eingreifen in das Hier und Jetzt. Graphische Spielanweisungen in seinen Partituren, wie die Enthauptung von Kriegsgefangenen neben dem Liebesspiel eines Ehepaares, offenbaren das. Dies jedoch gleichsam durch dieses Hier und Jetzt hindurch, als eine Besinnung auf das Archetypische hinter den Praxen. Das Aufrütteln in seinen Werken durch scheinbar ver-rückte Gesten, Verhaltensweisen soll eine ästhetische Wachheit bei uns, den Teilnehmern am Ritual der Metapraxis evozieren, die uns erlaubt, unser eigenes Leben, unsere jeweilige Praxis zu hinterfragen und konkret, im ästhetischen Vollzug geradezu mythisch, kosmisch zu unterwandern. Es geht hier also um den ganz konkreten Menschen in den Zusammenhängen seiner gesellschaftlichen Unfreiheit und dem überzeitlichen Potential seiner Befreiuung.

Plakat. Gestaltung: Hang Su.
Plakat. Gestaltung: Hang Su.
Flyer. Gestaltung: Hang Su.
Flyer. Gestaltung: Hang Su.