Schriftstimmen Musik und Sprache

Luru-Kino

Leipzig

10 Euro
8 Euro ermäßigt

Essl, Ronneau, Takasugi, Kleinlosen

Karlheinz Essl 1939 –
erat Verbum 2020-22

für Elektroni (5 min)

In erat Verbum wird gesprochen: Zwölf Männer und zwölf Frauen tragen, jeder und jede in einer anderen Sprache, Auszüge aus den ersten fünf Versen des ersten Kapitels des Evangeliums nach Johannes vor. Mal sprechen sie durcheinander, mal alleine, mal miteinander, mal nebeneinander her. Und mal sprechen sie gar nicht. Gerade gegen Ende des Stückes setzt ein Prozess der Abstraktwerdung ein, und zwar dadurch, dass durch Unkenntlichmachung der semantischen Strukturen des biblischen Textes die Unterscheidung von Sprache und musikalischem Material nichtig wird.

So klar die formale Anlage des Stückes – die sich grob als ein in vier Formteile gliedernder Prozess der Sprachwerdung mit anschließender »Vermusikalisierung« des Textes beschreiben ließe – auch sein mag, materialiter lässt sich erat Verbum weder der einen noch der anderen Sphäre, weder der Musik noch der Sprache, zuordnen. erat Verbum stellt Fragen: Wann wird Sprache zur Musik? Wie wird Sprache zur Musik? Und vor allem: In welchem Grenzbereich wird Musik beredt und Sprache musikalisch?

erat Verbum wurde mit einem vom Komponisten selbstgeschriebenen Computerprogramm realisiert, dessen graphische Benutzeroberfläche sich auf seiner Webpage einsehen lässt: https://www.essl.at/works/erat-verbum.html.

Mathias Traxler 1973 –
Sonores 1 + 2 2021

Das Stück ist im Rahmen des Übersetzungs-Symposiums »Parole : Dante« des Europäischen Laboratorium e. V. in Schwalenberg entstanden und wurde in der Grevenburg bei Sommersell am 15.8.2021 zum ersten Mal aufgeführt.

In beiden Teilen (Sonores 1 + Sonores 2) geschieht ein Kreisen um eine Stelle im 18. Gesang des Paradiso in der Commedia von Dante Alighieri, V. 6-9, wo die Stimme von Beatrice beschrieben wird. Es finden folgende Texte Verwendung: Sonores 1: Dante Alighieri: Commedia, Paradiso Canto 18, v. 6-9, in den Übersetzungen von Hermann Gmelin, Benno Geiger, Philaletes, Karl Witte. Sonores 2: Dante Alighieri, Commedia, Paradiso - Canto 18, v. 6-9; Robert Duncan, The Sweetness and Greatness of Dante's Divine Comedy.

(Mathias Traxler)

Antje-Kathrin Mettin 1989 –
Sprachversuche 2022-23

Auf dünnen Häuten bewegen wir uns durch die Welt, mit dünnen Häuten erspüren wir sie – und dünnhäutig sind die Worte, mit denen wir die Dinge überspannen, um sie begreifbar werden zu lassen. Die Sprachversuche spüren dem Fragilen und Zarten des Sprechens, dem Dünnhäutigen des Begreifens, den Abgründen des Sagens nach. Sie setzen sich unter anderem aus Gedichten der Mikrogramme, Mikroskopie : Krustentiere und Schwesternschaften zusammen.

(Antje-Kathrin Mettin)

Uraufführung

Jesse Ronneau 1974 –
cadavre et fumée 2023

für Elektronik (12 min)

Die Quelle für dieses Werk sind (dunklere) Auszüge aus den Selbstbetrachtungen von Marc Aurel. Hier habe ich Aufnahmen wiederverwendet, die ursprünglich für ein anderes Stück, Bloßer Schall und Nachklang für Tuba und Elektronik, aufgenommen wurden. Die Sprecherin (oder Flüsterin) ist die französische Cellistin Céline Papion. Mein allgemeiner Gedanke bei beiden Stücken (wie auch bei anderen Stücken, die ich schrieb) war, dass wir – oder viele von uns, vielleicht auch ich selbst – nicht mehr zuhören können oder wollen. Alles ist verstümmelt. Oder sollten wir vielleicht gar nicht zuhören?

(Jesse Ronneau)

Steven Kazuo Takasugi 1960 –
The Flypaper (Videoversion) 2005/2012/2021

für Elektronik und Video

Eingeklemmt zwischen den Seiten eines zweisprachigen Textbandes, links Deutsch, rechts Englisch, meditiert dieses kurze Werk über die Verwirrung zwischen Original und Übersetzung, dem Beobachter und dem Beobachteten, dem Wissenschaftler und seinem Gegenstand. Die Seiten dieses Buches erweisen sich schließlich als klebriges Fliegenpapier, und beim Aufschlagen des Buches wird die Sprache in Fetzen gerissen, gebrochen und zersplittert, als würde man sie durch das facettenreiche Auge einer Fliege sehen. Das kompositorische Vergrößerungsglas, durch das man ein Spirakel (das Atemloch eines Insekts) als flackerndes Auge betrachtet, ist nur ein Spiegel, dessen Auge auf den Betrachter zurückblickt... einen Betrachter, der dazu verdammt ist, seinen objektiven Blick zu verlieren.

(Steven Takasugi, Übersetzung: Adrian Kleinlosen)

Olav Amende 1983 –
abwesenheiten (Auszüge) 2022

Im Langgedicht abwesenheiten von Olav Amende begegnen wir einer Welt der Parallelitäten, in der die Dinge losgelöst und doch miteinander verbunden simultan geschehen. Die Zeit scheint stehen geblieben, die Welt verlassen und menschenleer. Dennoch treten Menschen auf. Wir betrachten sie aus einer Distanz, als gehörten wir nicht zu ihnen und ihrer Welt. Wir sehen ihren Tätigkeiten zu, hören ihr Schlurfen auf den Straßen, entgehen aber ihrem Blick. Ein Sound aus Wiederholungen und Auslassungen treibt den Text voran.

(Olav Almende)

Und dann / ist der regen / verklungen / und was bleibt ist das / treiben der in den weiher / gesunkenen unken und / das tropfen von dem klatschnassen geäst der / weiden und der pappeln / in den wäldern und das / tropfen von den glänzenden blütenblättchen der / astern in der warmen abendsonne und das / tropfen von den dampfenden / sich fast wieder aufgerichteten grashalm- / spitzen und das / tropfen von den / hüpfburgzinnen und den / zinkdachrinnen der stadtvillen

Olav Almende
Uraufführung

Adrian Kleinlosen 1987 –
mv2:k 2022

für Elektronik (22 min)

mv2:k ist das zweite (2) Werk in einer Werkreihe, die Bezug nimmt auf verschiedene Multiversums-Modelle (mv). Bisherige Werke aus dieser Reihe sind, Stand heute (November 2023), die beiden elektronischen Werke mv1:i-e (2019, 4 Kanäle) und mv1:i.e (2020, fünf Kanäle); beide sind von der Inflationstheorie (i) beeinflusst.

In mv2:k wird auf die Kabbala (k), die mystische Tradition des Judentums, Bezug genommen; genauer: auf das Buch Sefer ha-Temuna, von dem Gershom Scholem in mindestens zweien seiner Bücher berichtet (vgl. Gershom Scholem, Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Frankfurt am Main 1973, S. 105 ff.; ders., Ursprung und Anfänge der Kabbala, Berlin und New York 2001, S. 407 ff.). Das Material des Stückes besteht ausschließlich aus Aufnahmen der Biblischen Schöpfungsgeschichte, die in sieben verschiedenen Sprachen von den folgenden sieben Personen eingesprochen wurde: Nina Barzegar (Farsi), Bianca Bongers (Niederländisch), Sean Keenan (Englisch), Adrian Kleinlosen (Deutsch), Asaf Ophir (Hebräisch), Jacques Zafra (Spanisch), Rita Zhang (Chinesisch).

In der 300-seitigen Partitur, die im Research Catalogue veröffentlicht wurde, werden all jene Aspekte erläutert, die als Bestandteile eines elektroakustischen Komponierens hervorgehoben werden könnten: Techniken und Verfahren (einschließlich Code und Patches, letztere können über einen Link heruntergeladen werden), Analyse, Theorie sowie Bemerkungen ästhetischer, programmatischer und literarischer Art (deren Widersprüche ich mich übrigens nicht bemüht habe aufzulösen).

(Adrian Kleinlosen)

Zur Partitur

Gefördert von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und der Stadt Leipzig.