Microsound Elektronische Musik und Video

Luru-Kino
Spinnerei-Gelände

Leipzig

5 Euro

Barrett, Brito, Kleinlosen, Roads/Kling/O'Reilly/Yeo, Takasugi, Vaggione

Das unter dem Motto »Microsound« stehende Konzert taucht ein ins mikroskopisch Kleine: War bisher der einzelne Ton das kleinste musikalisch brauchbare Element, so hat sich dies mit der elektronischen Musik grundlegend geändert. Vergleichbar mit der Welt der Teilchenphysik, die das Winzigste zum Bestandteil ih­rer Arbeit erhebt – so etwa Quarks, Leptonen, Hadronen, Gluonen oder Bosonen –, sind nunmehr Grains (Körner), musikalische Kleinstteilchen mit einer Dauer von oft nur wenigen Tausendstelsekunden, die Bau­steine der Kompositionen. Werden sie elektronisch generiert, spricht man von Granularsynthese;basieren die Grains hingegen auf bereits bestehenden Klängen, sogenannten Samples, ist von Granulation die Rede.

Basierend auf den Theorien des ungarischen Ingenieurs und Nobelpreisträgers Dennis Gábor (1900-1979) und des griechischen Komponisten und Architekten Iannis Xenakis (1922-2001) begann der US-amerikani­sche Komponist, Autor und Programmierer Curtis Roads (*1951) Mitte der 1970er-Jahre mit computerge­nerierten Klängen zu experimentieren, die sich aus ebenjenen Grains zusammensetzen. Die Konzeption Gá­bors, dass sich jeder Klang aus einer Kombination tausender kleinerer Klänge zusammensetze, wurde durch diese Experimente, die ohne die voranschreitende Entwicklung des immer leistungsstärker werdenden Computers undenkbar gewesen wären, realiter musikalisch umgesetzt. Roads' zwischen 1999 und 2003 ent­standene Werke, die unter dem Titel POINT LINE CLOUD zusammengefasst wurden und den Grund legten für die im Jahr 2004 entstandenen Videos des in Singapur ansässigen und lehrenden Komponisten, Kontra­bassisten und Videokünstlers Brian O'Reilly, erfuhren weltweit Aufführungen (u. a. in Paris, Istanbul, Ams­terdam, Los Angeles, Parma oder Belfast) und erhielten im Jahr 2004 den »Award of Distinction« beim Ars Elecronica Festival 2002.

Die gesamte zweite Hälfte des Konzertes widmen wir POINT LINE CLOUD und würdigen damit die Arbeit Curtis Roads', dem Pionier des Microsound.

Horacio Vaggione
Préludes suspendus III 2009

Stereozuspielung (9 min)

Anders als Roads, der Algorithmen bei der Komposition seiner Stücke verwendet, arbeitet der argentinische Komponist Horacio Vaggione (*1943), der von 1989 bis 2012 an der Université Paris VIII unterrichtete, mit dem Verfahren der Mikromontage: Er setzt jedes einzelne Kleinstteilchen per Hand an seinen im Computer­programm zugewiesenen Platz. Diese Arbeitsweise ähnelt der eines impressionistischen Malers, der winzige Farbtupfer auf seine Leinwand aufträgt. Im dem das Konzert eröffnenden StückPréludes suspendus aus dem Jahr 2009 lässt sich außerdem ein weiterer Aspekt, der von der synthetischen Klangwelt Curtis Roads' abweicht, hörend ausma­chen: Samples, also aufgenommene und anschließend weiterverarbeitete Klänge, sind fester Bestandteil der kompositorischen Sprache Vaggiones.

Uraufführung

Adrian Kleinlosen 1987 –
mv1:i-e 2019

Quadrophonische Zuspielung (9 min)

Die Komposition mv1:i-e des in Leipzig ansässigen Komponisten und Musikwissenschaftlers Adrian Klein­losen (*1987) wurde spezifisch für das heutige Konzert komponiert. Inspiration erfährt es von der Theorie eines inflationären Multiversums, die auf die vom russischen Kosmologen Andrei Linde (*1948) in den 1980er-Jahren veröffentlichte Theorie zurückgeht, die die kosmische Inflation – eine Phase rascher Expansi­on des Universums nach dem Urknall – dahingehend weiterdenkt, dass sie die Idee eines Multiversums als eines wachsenden und ständig neue »Bälle«, d. h. blasenförmige Universen erzeugenden Fraktals, zulässt. Dies zeigt sich in mv1:i-e u. a. in der Montage ständig entstehender und wieder vergehender autonomer musi­kalischer Teile, die die das Multiversum konstituierenden Universen symbolisieren und die alle eines ge­meinsam haben: Nach anfänglichem »Urknall« – hier in Form eines einzelnen Tones oder Klanges mit sehr engem Frequenzband – expandieren sie, verschiedene Zeitphasen durchlaufend, zunehmend, bevor, mit ih­rem Absterben, der musikalische Raum mit neuen Universen durchmessen wird.

Richard Barrett
epiphyte 2016

Stereozuspielung (4 min)

Die Werke des walisischen Komponisten Richard Barrett (*1959), der neben seiner kompositorischen Tä­tigkeit auch als Interpret elektroakustischer improvisierter Musik in Erscheinung tritt und seit 1996 (mit einer Unterbrechung zwischen 2001 und 2009) am renommierten Institute of Sonology in Den Haag lehrt, werden gemeinhin dem sogenannten »Komplexismus« zugerechnet, einer Strömung der Neuen Musik, die durch die Differenzierung und Determination sämtlicher musikalischer Parameter charakterisiert ist und Hörer wie Interpreten wegen ihres komplexen Klang- und notationellen Erscheinungsbildes vor Herausforderungen stellt. Epiphyte stellt einen Teil des umfassenderen Werks close-up für Blockflöten, Trompeten, Cello, Harfe und Akkordeon dar – und darüber hinaus einen klanglichen Kontrapunkt zu den vorigen beiden Stücken durch seine Orientierung auf den raschen Wechsel kurzer Klänge.

Steven Kazuo Takasugi 1960 –
Letters from Prison

Zur Komposition Letters from Prison des 1960 in Los Angeles geborenen und am Harvard Music Depart­ment lehrenden Steven Kazuo Takasugi liegt ein gesonderter längerer Text des Komponisten aus. Takasugi, der jahrelang Musik für Kopfhörer schrieb, erst in den letzten Jahren zusätzlich für akustische Instrumente komponierte und vermehrt theatralische Elemente in seine Kompositionen einbezieht – so in seinem zwi­schen 2009 und 2015 entstandenen einstündigen Opus Magnum Sideshow für Oktett und Elektronik – nimmt in seinem immersiven Letters from Prison Bezug auf Politisches, genauer: auf die Folter irakischer Gefange­ner durch US-amerikanische Streitkräfte im Jahr 2003.

Darien Brito
On unquantifiable boundaries 2017

Quadrophonische Zuspielung (18 min)

Den Abschluss der ersten Hälfte bildet Darien Britos On unquantifiable boundaries. Brito, ehemaliger Stu­dent am Institute of Sonology und ansässig in Den Haag, dessen kompositorische Arbeit im Allgemeinen durch die Auseinandersetzung mit Computern und Technologien motiviert ist, ist ein Grenzgänger bzw. -Verwischer: Seine künstlerische Identität entsteht durch die Konfrontation des künstlerischen Tuns mit dem Technischen und lässt sich weder auf das eine noch das andere Moment reduzieren. Licht, Tanz und Video sind häufig Bestandteile seiner Werke. Zu On unquantifiable boundaries schreibt Brito: »On unquanti­fiable boundaries is an attempt at mimicking with purely synthetic sources, properties of sonic phenomena experienced during an auditory hallucination.«

Den Abschluss der ersten Hälfte bildet Darien Britos On unquantifiable boundaries. Brito, ehemaliger Stu­dent am Institute of Sonology und ansässig in Den Haag, dessen kompositorische Arbeit im Allgemeinen durch die Auseinandersetzung mit Computern und Technologien motiviert ist, ist ein Grenzgänger bzw. -Verwischer: Seine künstlerische Identität entsteht durch die Konfrontation des künstlerischen Tuns mit dem Technischen und lässt sich weder auf das eine noch das andere Moment reduzieren. Licht, Tanz und Video sind häufig Bestandteile seiner Werke. Zu On unquantifiable boundaries schreibt Brito: »On unquanti­fiable boundaries is an attempt at mimicking with purely synthetic sources, properties of sonic phenomena experienced during an auditory hallucination.«

Curtis Roads
POINT LINE CLOUD 2004

Quadrophonische Zuspielung mit Videos von Brian O'Reilly (30 min)

Curtis Roads
Sonal Atoms 1999

Visualisierung von Woon Seung Yeo

Curtis Roads
Pictor Alpha 2003

Visualisierung von Gary Kling

Programmtexte und künstlerische Leitung des Konzerts: Adrian Kleinlosen

Konzert großzügig gefördert vom Kulturamt der Stadt Leipzig und dem Förderfonds des Deutschen Komponistenverbandes.

Plakat. Gestaltung: Adrian Kleinlosen.
Plakat. Gestaltung: Adrian Kleinlosen.