Ensemblekonzert ensemble mosaik, Enno Poppe, Ermis Theodorakis

Zimeliensaal im GRASSI
Grassimuseum

Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig

15 Euro Normalpreis
10 Euro Ermäßigung
eventim-light.com

Cosimo, Theodorakis, Beyer

Das Berliner ensemble mosaik mit seinem Dirigenten Enno Poppe präsentiert zeitgenössische Musik aus Leipzig: Ensemblewerke von Mario Cosimo, Ermis Theodorakis und Stefan Beyer - zu Gast im Zimeliensaal Leipzig.

Das Programm eröffnet mit der Uraufführung von Mario Cosimos Auftragswerk Then to the elements, poetisch angeregt von Shakespeares "Sturm": "Wir brauchen nicht mehr und mehr Askese, sondern Fülle, reiche und üppige Fülle!"

Ermis Theodorakis tritt auf sowohl als Komponist des Werks WHIPSAW als auch als Solist der Aufführung. Das Werk nutzt zufällige Prozesse, um Erwartungen und Muster in der musikalischen Struktur zu hinterfragen.

"L. A. Glows", schrieb der US-amerikanische Autor Lawrence Weschler, Enkel des im Exil in Santa Monica gestorbenen Komponisten Ernst Toch. An dessen Flügel in der Villa Aurora erarbeitete Stefan Beyer das große Sextett Glow.

Ermis Theodorakis 1979 –
Whipsaw 2019

Klavierkonzert

Whipsaw, englisch für Peitschensäge, ist eine ähnlich aussehende Formation der Charttechnik (siehe Börse, Wertpapierhandel). Diese wird durch die Kurslinie und einen Indikator (meistens den gleitenden Durchschnitt) gebildet. Das nach oben oder nach unten Überkreuzen des Indikators durch die Kurslinie gilt i.d.R. als Signal für eine Trendwende und für das entsprechende Handeln (Kauf oder Verkauf); im Fall eines Whipsaws dennoch erweist sich dieses einmalige oder mehrmalige Überkreuzen als falsches Signal: die Trendwende findet nicht statt und der ungeduldige Trader muss Verluste in Kauf nehmen.

Im Stück treffen vier distinkte Ideen aufeinander, die sich als Lines, Points, Chords, Trees bezeichnen lassen. Die kompositorischen Prozesse werden in großem Umfang stochastisch gesteuert, d.h. mithilfe von Zufallszahlen und Wahrscheinlichkeitsverteilungen; dies betrifft nahezu alle Parameter der Komposition: Tonhöhen, Rhythmus, Metrik, große Form. Ziel dieser Methoden ist, die individuelle Entwicklung der Ideen sowie die große Form komplexer zu gestalten, sodass die Verläufe nur im großen ganzen erkennbar sind, währenddessen die kleinen oder größeren Abweichungen (pull-backs) für den Zuhörer gelegentlich falsche Signale zur Entwicklung des Stückes produzieren.

Uraufführung

Mario Cosimo
Then to the elements 2020/21

für sieben Instrumente (15 min)

Mit den Worten »Then to the Elements, Be free, and fare thou well.« entläßt Prospero den Luftgeist Ariel am Ende von Shakespaers Sturm aus seinen Diensten. Er, seine Tochter Miranda und die Gestrandeten verlassen nun wieder das einsame Eiland fernab jeglicher Zivilisation, um nach Italien in ihre Fürstentümer zurückzukehren. Ariels Macht über die Elemente stand Prospero zur Verfügung, er hat den Sturm veranlaßt, um die ihm bekannten Fürsten seinem Spiel, seinem Szenario auf der Insel unterwerfen zu können. Das Ende des Theaterstücks ist auch das Ende dieses Spiels, der Bann, unter dem die Gestrandeten standen, ist gelöst und mit Ariels Entlassung verzichtet Prospero auf die schier uneingeschränckte Macht, die ihm durch Ariels Dienste zu Verfügung standen.

Aber – und hierin liegt vielleicht der große turnig point – in Prosperos Worten steckt auch die Bitte an Ariel, er möge seine Kräfte für die Überfahrt – und vielleicht auch daüber hinaus – treu zu gunsten Prosperos walten lassen, nur nicht mehr als eines Dienstes Pflicht, sondern als Geschenk, als Gabe.

Neben dieser poetischen Bedeutung des Satz, kann man ihn auch auf ganz prosaische Art lesen: »Auf zu den Elementen, den kleinsten Einheiten.« In diesem Sinne zitiert Adrian Leverkühn in Thomas Manns Doktor Faustus den Satz. Leverkühn schreibt darauf hin sein letztes Werk, den »Doktor Faustus«.

Kompositorisch zu den kleinsten Einheiten vorzudringen, ist als radikales Projekt nicht fruchtbar. Zeit, Tonhöhen, Klagfarben sind kontinuierliche Dimension, technisch heute auf feineren Skalen – in feineren Maßen – beherrschbar als das Ohr erfassen kann. Die Frage also, was die Elemente der Musik schlechthin sind, ist immer eine Frage der technischen Möglichkeiten. Im konkreten Zusammenhang einer Komposition aber stellt sich immer diese Frage. Tön, Tondauern, Obertonverhältnisse, Skalen, Reihen, Reihenfelder all das können Elemente einer Komposition sein, wenn sie als solche behandelt werden. In meiner Komposition werden in jedem Teil jeweils andere musikalische Einheiten als Elemente eine kompositorischen Organisation behandelt: von Tonhöhen und Tondauern bis hin zu den Teilen als Elemente einer kompositorischen Organisation und dem Versuch, die nächste Stufe der Organisation, auf der das Werk zum Element werden müsste, zumindest zu reflektieren.

— Aus dem Gesagten sollte deutlich geworden werden, daß ich es kompositorisch für keinen gangbaren Weg halte, dieses Problem dadurch zu ›lösen‹ oder besser vielleicht: aufzulösen, indem auf kompositorische Organisation verzichtet wird.

Wir brauchen nicht mehr und mehr Askese, sondern Fülle, reiche und üppige Fülle!

Stefan Beyer 1981 –
Glow 2018

für Ensemble (34 min)

Los Angeles glüht, heißt es. Von April bis Juni 2018 habe ich in dieser Stadt, in der Villa Aurora gewohnt, im schillernden Stadtteil Pacific Palisades. Die Villa ist ein historischer Ort, und dort zu arbeiten ein besonderes Erlebnis: im Haus Lion Feuchtwangers; am Schreibtisch Franz Werfels; am Flügel Ernst Tochs.

Tochs Flügel ist ein Blüthner. Es wird berichtet, Lion Feuchtwanger, längst im Exil und finanziell nunmehr besser ausgestattet, veranlasste die Verschiffung des Instruments aus Europa in die USA. Heute steht es in der Villa Aurora, in „Marthas (Feuchtwangers) Musikzimmer“, wo auch Teile dieser Komposition entstanden: „Glow“, ein Werk für sechs Spieler, von nahezu einer halben Stunde Dauer.

Los Angeles glüht: Der US-amerikanische Autor Lawrence Weschler prägte diese Wendung, im Jahr 1998 in einem gleichlautenden Artikel im Magazin The New Yorker („L.A. Glows“). Er erörtert darin das besondere Licht der Stadt.

Weschler, Enkel des 1884 in Wien geborenen, 1964 in Santa Monica gestorbenen Komponisten Ernst Toch, verweist auch auf ebenjenen Großvater. Der hätte in seinem Arbeitszimmer im kalifornischen Exil einen Blick auf den Pazifik – die Santa Monica Bay – gehabt, nachmittags von Licht erfüllt. (Auf diesen Teil des Ozeans blickte aus seinem Arbeitszimmer übrigens auch Lion Feuchtwanger.) Seine Gäste hätten dann zu ihm gesagt: „Kein Wunder, dass Sie komponieren können, mit einem derartigen Blick!“, und Toch hätte darauf, Weschler zufolge, entgegnet: „Wenn ich komponiere, müssen die Vorhänge zugezogen sein.“

ensemble mosaik
Enno Poppe
Dirigent
Ermis Theodorakis
Solist

Kristjana Helgadóttir Flöte
Simon Strasser Oboe
Horia Dumitrache Klarinette
Ernst Surberg Klavier
Chatchatur Kanajan Violine
Karen Lorenz Viola 
Mathis Mayr Cello
Arne Vierck Klangregie

Foto: ensemble mosaik

Einführungsveranstaltung: Mittwoch, 02.10.24 in der Grieg-Begegnungsstätte Leipzig in Anwesenheit der Komponisten. Der Eintritt ist frei.


Gefördert vom Kulturamt der Stadt Leipzig, der LeipzigStiftung, der GEMA-Stiftung und der Karin-und-Uwe-Hollweg-Stiftung. Mit freundlicher Unterstützung der Museen im GRASSI.